In diesem Blogbeitrag gehen wir näher auf die dogmatischen Grundlagen der Verfahrensaussetzung in dem Prozess mit dem Aktenzeichen C-440/23 aus Malta ein.
I. Einführung
In den Charge-Back-Prozessen von Spielern, die mit nicht lizenzierten Online-Glücksspielen in Deutschland verbunden sind, tendieren einige Gerichte dazu, die Verfahren gemäß § 148 Abs. 1 ZPO auszusetzen. Der Anlass für diese Aussetzung ist ein Vorabentscheidungsersuchen eines maltesischen Gerichts an den EuGH. Bereits im November 2023 hatte der erste Zivilsenat des Bundesgerichtshofs in einem wettbewerbsrechtlichen Fall eine Aussetzung des Verfahrens sowie ein eigenes Vorabentscheidungsersuchen zunächst abgelehnt. Nur zwei Monate später entschied derselbe Senat jedoch, ein Verfahren zur Rückforderung von Verlusten beim Online-Poker auszusetzen.
Im März 2024 sah sich der erste Zivilsenat in einem weiteren Fall zur Rückerstattung von Verlusten aus Online-Sportwetten nicht veranlasst, das Verfahren auszusetzen oder eine eigene Vorlage an den EuGH zu machen. Allerdings legte derselbe Senat am 25.07.2024 einen anderen Fall zu Online-Sportwetten dem EuGH vor und setzte daraufhin weitere Sportwettverfahren aus.
Gegen die erstinstanzlichen Aussetzungsbeschlüsse legen betroffene Kläger teilweise sofortige Beschwerden ein, was häufig zu Aufhebungen der Aussetzungsbeschlüsse durch die Land- und Oberlandesgerichte führt. Zudem wurde bekannt, dass der EuGH die ihm im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens vorgelegte Rechtssache C-440/23 im Juni 2024 vorübergehend ausgesetzt hat.
Die Instanzgerichte sehen sich nun mit Forderungen beider Parteien – sowohl für als auch gegen die Aussetzung – konfrontiert. Der Beitrag soll am Beispiel des Vorabentscheidungsverfahrens C-440/23 die rechtlichen Grundlagen der Aussetzung sowie deren verfassungsrechtliche Grenzen darstellen und Ansätze zum Umgang mit Aussetzungsanträgen präsentieren. Dabei wird insbesondere auf die Möglichkeit einer zeitlich unbestimmten Aussetzung des Vorabentscheidungsverfahrens eingegangen, wie sie im Juni 2024 im Fall C-440/23 zunächst vorgenommen wurde und jederzeit wiederholt werden kann.
II. Das Vorabentscheidungsgesuch C-440/23 aus Malta
Das Vorabentscheidungsverfahren C-440/23 basiert ursprünglich auf einer deutschen Verbraucherklage zur Erstattung von Verlusten aus Online-Casinos im Rahmen des GlüStV 2012. Noch bevor das Ausgangsverfahren vor dem LG Erfurt abgeschlossen war, erwarb ein Rechtsanwalt mit engen Verbindungen zur Online-Glücksspielindustrie den klägerischen Anspruch und reichte daraufhin erneut Klage aus abgetretenem Recht gegen den Glücksspielanbieter ein, jedoch vor einem maltesischen Gericht. Offensichtlich sollte der Rechtsstreit nicht in Deutschland weitergeführt werden, da die deutschen Gerichte – zurecht – eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof bislang abgelehnt hatten. In Malta einigten sich beide Parteien darauf, ein Vorabentscheidungsverfahren zu initiieren.
Der klagende Rechtsanwalt agierte gemeinsam mit der Beklagten, um ein Vorabentscheidungsverfahren zu erreichen, dem das maltesische Gericht nachkam, indem es das Verfahren an den EuGH vorlegte. Nach dieser Vorlage beantragten die Beklagtenvertreter in den in Deutschland anhängigen Charge-Back-Verfahren, die Verfahren unter Verweis auf das Vorabentscheidungsgesuch C-440/23 auszusetzen.
Der EuGH war in C-440/23 auf einseitig beeinflusste Prozessmaterialien beschränkt, da ihm nicht alle Möglichkeiten zur Ermittlung relevanter Tatsachen zur Verfügung standen. Der EuGH stellte relativ schnell fest, dass das zugrunde liegende maltesische Verfahren auf abgetretenem Recht basierte, wodurch ein echtes Rechtsschutzinteresse des Klägers fehlte. Da der Prozessstoff in diesem konstruierten Verfahren durch ein kollusives Zusammenspiel von Kläger und Beklagter geprägt war und die Interessen der geschädigten Spieler nicht ausreichend berücksichtigt wurden, konnte der EuGH aufgrund seiner Verfahrensordnung keine Defizite im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens ausgleichen. Daher setzte der EuGH das Verfahren C-440/23 am 12.06.2024 ohne zeitliche oder andere Einschränkungen aus.
Um das Verfahren C-440/23 besser einordnen zu können, sind einige Hintergrundinformationen erforderlich: Malta erzielt bis zu 12 % seines Bruttoinlandsprodukts aus dem Glücksspielsektor, wobei deutsche Kunden einen bedeutenden Anteil ausmachen. Die Glücksspielunternehmen wehren sich, unterstützt von den maltesischen Staatsgewalten, mit allen Mitteln gegen die Durchsetzung von Recht und EU-Vorschriften. So verabschiedete die maltesische Legislative am 12.06.2023 ein Gesetz, das die Vollstreckung von EU-Urteilen gegen Glücksspielanbieter mit Sitz in Malta verhindern soll (bekannt als „Malta-Gaming-Act“ oder „Bill 55“). Die Folgen dieser Verletzung der Europäischen Verträge, insbesondere der Verordnung über die gegenseitige Anerkennung von Vollstreckungen innerhalb der EU (EuGVVO), sind in der Fachliteratur deutlich kommentiert worden. Die Europäische Kommission prüft derzeit nach über 48 Beschwerden gegen die „Bill 55“ die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen Malta. In einer Stellungnahme äußerte der Fachbereich Europa des Bundestags deutliche Bedenken hinsichtlich des „Malta-Gaming-Acts“. Zeitgleich mit der Verabschiedung dieses Gesetzes richtete ein maltesisches Gericht Vorlagefragen an den EuGH, möglicherweise um einen Anlass für einen faktischen Stopp der Verfahren gegen Teile der maltesischen Glücksspielindustrie vor deutschen Gerichten zu schaffen.
III. Rechtsgrundlagen der Aussetzung
Für Verluste, die im Rahmen des GlüStV 2021 anfallen, ist das Verfahren vor dem EuGH nicht vorrangig und kann daher keine Grundlage für eine Aussetzung bieten. Eine Aussetzung von Verfahren gegen Betreiber mit Sitz außerhalb der EU kommt ebenfalls nicht in Frage, da die im Vorabentscheidungsverfahren C-440/23 behandelten Fragen nicht vorrangig sind. Auch bei Betreibern mit Sitz innerhalb der EU ist es fraglich, ob ein Verfahren ausgesetzt werden kann, wenn das entsprechende Vorabentscheidungsverfahren auf unbestimmte Zeit ausgesetzt wurde.
Mit der unbefristeten Aussetzung des Vorabentscheidungsverfahrens C-440/23 ist zu erwarten, dass sich die erstinstanzlichen Verfahren um mindestens drei Jahre verzögern. Im Jahr 2023 betrug die durchschnittliche Dauer für Vorabentscheidungsverfahren knapp 17 Monate. Die zusätzliche Verzögerung durch die unbefristete Aussetzung ist nicht absehbar, da sie mehrere Monate oder sogar Jahre in Anspruch nehmen könnte. Die Jahreshöchstgrenze für Aussetzungen gemäß § 150 Satz 2 ZPO würde damit voraussichtlich überschritten.
Das (vermeintlich) vorrangige Vorabentscheidungsverfahren C-440/23, dessen Ausgang abgewartet werden sollte, verzögert sich nun auf unbestimmte Zeit. Entscheidend ist, dass der (vermeintlich) präjudizielle Rechtsstreit objektiv betrachtet ungewöhnlich lange dauert. Die Aussetzung eines Vorabentscheidungsverfahrens ist ein äußerst seltener und damit außergewöhnlicher Umstand, der naturgemäß zu weiteren zeitlichen Verzögerungen führt. In Art. 55 Abs. 6 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs heißt es, dass die Aussetzung endet, wenn im Aussetzungsbeschluss kein Enddatum festgelegt ist, entweder zu dem in einem späteren Beschluss genannten Zeitpunkt oder, wenn kein solcher Zeitpunkt angegeben ist, mit dem Erlass des Aufhebungsbeschlusses. Zu dem Zeitpunkt der Aussetzung war jedoch völlig unklar, wann der EuGH einen solchen Beschluss fassen würde.
Das Verfahren C-440/23 wurde vermutlich nur deshalb unbefristet ausgesetzt, weil der EuGH aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht in der Lage war, über ein „konstruiertes“ Verfahren zu entscheiden. Wann das ausgesetzte Vorabentscheidungsverfahren wieder aufgenommen wird, bleibt ungewiss. Diese Situation könnte zu einem teilweisen Stillstand der Rechtspflege führen. Deutsche Gerichte setzen gelegentlich Verfahren aus, weil sie von der Ernsthaftigkeit des Vorabentscheidungsgesuchs überzeugt sind. Der EuGH sieht sich jedoch selbst auf unbestimmte Zeit nicht in der Lage, über die vorgelegten Fragen zu entscheiden. Ohne eine Entscheidung des EuGH über diese (vermeintlich) vorrangigen Fragen gibt es keinen Raum für eine Aussetzung, wenn das Verfahren bereits ausgesetzt ist, insbesondere unter Berücksichtigung des erforderlichen effektiven Rechtsschutzes.
Die Prüfung der Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht obliegt nicht ausschließlich dem EuGH. Jedes Gericht, vom Amtsgericht bis zum Bundesgerichtshof, ist grundsätzlich berechtigt und verpflichtet, das Recht nach eigenem Ermessen anzuwenden. Ein Abwarten auf die Rechtsauffassung eines gleichgeordneten oder höher gestellten Gerichts ist in der ZPO nicht vorgesehen. Die §§ 148 und 149 ZPO scheinen diesen Grundsatz nur einzuschränken. Es ist jedoch fraglich, ob die in der Rechtsprechung entwickelten Ausnahmen von den Aussetzungskonstellationen mit dem ursprünglichen Zweck der betreffenden Vorschriften vereinbar sind.
1. Zweck des § 149 ZPO und des § 148 Abs. 3 ZPO
Die Regelung in § 149 ZPO erlaubt eine Aussetzung, wenn laufende Ermittlungen in einem Strafverfahren Einfluss auf das zivilrechtliche Verfahren ausüben könnten. Der Hintergrund dieser Vorschrift liegt nicht darin, dass Zivilgerichten weniger Kompetenz in Strafsachen zugeschrieben wird als den Strafgerichten. Vielmehr sind alle Gerichte verpflichtet, den ihnen vorliegenden Fall aus jeder rechtlichen Perspektive zu betrachten (§ 17 Abs. 2 Satz 1 GVG).
Der Zweck von § 149 ZPO besteht darin, die umfassenderen Möglichkeiten zur Wahrheitsfindung im Strafprozess zu nutzen, die über die der Zivilprozessordnung hinausgehen. Da auch im Zivilprozess die Wahrheitsfindung angestrebt wird, ist es aus prozessökonomischer Sicht sinnvoll, dass Erkenntnisse aus einem laufenden Strafverfahren auch in einem zivilrechtlichen Parallelverfahren Berücksichtigung finden.
Ein ähnliches Ziel verfolgt § 148 Abs. 3 ZPO, der eine Aussetzung erlaubt, wenn in einem Parallelverfahren Beweise zu denselben Tatsachen erhoben werden. Um eine hohe Übereinstimmung zwischen prozessualer und tatsächlicher Wahrheit zu erreichen, sind gewisse Einschränkungen der Beschleunigungsmaxime akzeptabel. Diese Einschränkungen gelten jedoch nur, wenn neue tatsächliche Erkenntnisse für das Zivilverfahren zu erwarten sind. Die Vorschriften zielen nicht darauf ab, die Rechtsauffassungen eines anderen Gerichts abzuwarten, um diese anstelle der eigenen anzuwenden.
2. Zweck des § 148 Abs. 1 ZPO
In direkter Anwendung soll auch § 148 Abs. 1 ZPO das entscheidende Gericht nicht von der Verantwortung für eine eigene Entscheidung befreien. Ähnlich wie bei der Zwischenfeststellungsklage (§ 256 Abs. 2 ZPO) ist es das Ziel, dass ein Rechtsstreit, der sich lediglich mit einem individuellen Rechtsfolgenausspruch (prozessualer Anspruch) befasst, von den Ergebnissen einer umfassenden Entscheidung über das gesamte zugrunde liegende Rechtsverhältnis profitiert. Der Gesetzgeber ging davon aus, dass eine Entscheidung, die das gesamte Rechtsverhältnis betrachtet, aufgrund der damit verbundenen erweiterten materiellen Rechtskraft im Vergleich zu einer Entscheidung über nur eine einzelne Rechtsfolge in der Regel aufwändiger ist und somit auch eine höhere Wahrscheinlichkeit für einen Erkenntnisgewinn bietet. Um diese umfassenden Erkenntnisse aus dem Prozess über das zugrunde liegende Rechtsverhältnis effizient nutzen zu können, ermöglicht § 148 ZPO die Aussetzung.
3. Analogie zu § 148 ZPO?
Ob § 148 Abs. 1 ZPO auch in solchen Fällen angewendet werden darf, in denen nicht höhere Anstrengungen, sondern lediglich ein ranghöheres Gericht über dieselben Rechtsfragen entscheidet, ist bereits fraglich.
a) Sinnvolle Ausweitung oder Überdehnung?
Nachdem der Bundesgerichtshof zunächst keine klare Stellung zu dieser Vorgehensweise bezogen hat, wird mittlerweile in der Rechtsprechung überwiegend deren Zulässigkeit angenommen. Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch bislang noch nicht geprüft, ob die entsprechende Anwendung der Vorschrift mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Effektivität des Rechtsschutzes vereinbar ist.
Gemäß der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts umfasst der grundgesetzlich verankerte Anspruch auf effektiven Rechtsschutz auch die Gewährleistung von Rechtssicherheit, die erfordert, dass Verfahren in „angemessener Zeit“ abgeschlossen werden. Die aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Rechtsschutzgarantie sorgt nicht nur dafür, dass ein Zugang zu den Gerichten besteht, sondern auch, dass der Rechtsschutz effektiv ist. Für die Gewährleistung des Rechtsschutzes durch die Gerichte ist eine normativ festgelegte Verfahrensordnung erforderlich. Das Rechtsstaatsprinzip fordert einen wirksamen Rechtsschutz für den einzelnen Rechtsuchenden und gleichzeitig die Schaffung von Rechtssicherheit, die verlangt, dass strittige Rechtsverhältnisse zeitnah geklärt werden. Wenn ein Verfahren unangemessen lange dauert, kann dies mit einer Unvereinbarkeit von Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip oder Art. 6 Abs. 1 EMRK in Zusammenhang stehen. Die Möglichkeit, dass sich das andere Verfahren, dessen Ausgang abgewartet werden soll, unbestimmt verzögert, ist ein Aspekt, der bei der Entscheidung über die Aufhebung einer Aussetzung nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zu berücksichtigen ist.
Neben diesen verfassungsrechtlichen Bedenken gibt es auch Zweifel an der Begründbarkeit einer Analogie zu § 148 Abs. 1 ZPO. Der Ausnahmecharakter der §§ 148 und 149 ZPO im Vergleich zum Grundsatz der Konzentrationsmaxime spricht gegen eine solche Analogie. Zudem werfen die in § 148 Abs. 2 ZPO geregelten Ausnahmefälle Fragen auf, ob tatsächlich eine planwidrige Regelungslücke vorliegt.
Der Vergleich der Interessenlagen im direkten Anwendungsbereich von § 148 Abs. 1 ZPO mit einer möglichen entsprechenden Anwendung der Vorschrift bei laufenden Vorabentscheidungsverfahren zeigt deutlich, dass eine analoge Anwendung nicht zulässig ist. Während § 148 Abs. 1 ZPO in seiner direkten Anwendung das legitime Ziel der Prozessökonomie verfolgt, indem er es ermöglicht, Prozessstoff aus einem Verfahren in einem anderen zu nutzen, ist die Einholung einer Rechtsauffassung von höherrangigen Gerichten in einem Parallelverfahren zur Bestätigung der rechtlichen Richtigkeit der eigenen Entscheidung nicht im ursprünglichen Sinne der Vorschrift enthalten.
b) Korrektur über den Auslegungsmaßstab
Selbst wenn man den Zweck des § 148 Abs. 1 ZPO, methodisch allerdings fragwürdig, im Wege einer entsprechenden Anwendung erweitern wollte, müsste die Abwägung zwischen dem berechtigten Interesse der Klägerpartei an einer beschleunigten Rechtsdurchsetzung gegenüber dem Interesse des Gerichts, möglichst im Einklang mit anderen Gerichten zu entscheiden, strenger gehandhabt werden, als bei einem direkten Anwendungsfall des § 148 Abs. 1 ZPO. Denn bei einer – hier jedenfalls nicht einschlägigen – direkten Anwendung des § 148 Abs. 1 ZPO sind die gegenüber der Konzentrationsmaxime, als Ausfluss der Effektivität des Rechtsschutzes, abzuwägenden Interessen schützenswerter als bei dessen analoger Anwendung. Die verfassungsrechtlich gebotene Verschiebung des Abwägungsmaßstabs ist bei einer richterlichen Ermessensentscheidung auf jeden Fall zu bedenken. Dies gilt umso mehr für eine Aussetzung in erster Instanz. Denn in diesem Verfahrensstadium verfügt der Kläger – anders als bei einer Aussetzung in zweiter Instanz – nicht über einen vorläufig vollstreckbaren Titel, der ihm – ggf. nach voriger Hinterlegung von Sicherheitsleistungen – die Vollstreckung in Vermögenswerte im In- und Ausland ermöglicht. Der fragwürdige Malta-Gaming-Act steht einer solchen Vollstreckung nicht per se entgegen, weil die Betreiber der Online-Casinos durchaus auch Vermögenswerte außerhalb Maltas vorhalten; wie beispielsweise selbstschuldnerische Bankbürgschaften zugunsten der Verbraucher, gemäß § 4c Abs. 3 GlüStV 2021.
Die Gerichte sind bei ihrer Entscheidung über die Aussetzung verfassungsrechtlich verpflichtet, die Tragweite des Grundrechts auf wirkungsvollen Rechtsschutz zu beachten. Deshalb sind sie verpflichtet, im Einzelnen sorgfältig abzuwägen, ob die Erkenntnismöglichkeiten eines Parallelverfahrens den Verzögerungseffekt im anhängigen Zivilrechtsstreit rechtfertigen können. Die ermessensleitenden Erwägungen sind in der Beschlussbegründung offen zu legen.
Die nicht nur für die Aussetzung wegen eines parallelen Strafverfahrens geltende gesetzliche Höchstfrist von einem Jahr ist angesichts des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers in Bezug auf Verfahrensvorschriften durch das Bundesverfassungsgericht als nicht unangemessen erachtet worden. Allerdings betont das Bundesverfassungsgericht gleichzeitig, dass die Zivilgerichte gegebenenfalls gemäß § 150 Satz 1 ZPO auch schon vor Ablauf der Jahresfrist zur Aufhebung der Aussetzungsentscheidung angehalten sind.
Wenn aber für den Fall einer Aussetzung wegen eines Vorabentscheidungsverfahrens gemäß § 148 Abs. 1 ZPO analog bei lebensnaher Prognose bereits vor Ablauf der Jahresfrist sowieso keine Klärung des Vorabentscheidungsverfahrens absehbar ist und dann das Verfahren, mit einem Jahr Verzögerung, ohne Erkenntnisgewinn fortzusetzen ist, stellt sich von vornherein die Frage nach der Sinnhaftigkeit einer Aussetzung.
V. Prozessuale Konsequenzen
Bereits erfolgte Aussetzungen, die diesen Kriterien nicht entsprechen, sollten wegen der Gefahr einer Prozessverzögerung aufgehoben werden. Gemäß § 150 Satz 1 ZPO kann das Gericht auf Antrag die Entscheidung, die zur Aussetzung des Verfahrens geführt hat, jederzeit aufheben. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Rechtsstreit, der zur Aussetzung geführt hat, nicht weiterverfolgt wird. Dieser Grundsatz basiert auf dem Beschleunigungsprinzip und findet in § 155 ZPO für familienrechtliche Verfahren Anwendung. Diese Überlegung lässt sich auch auf andere zivilprozessuale Verfahren übertragen. Abhängig von den spezifischen Umständen kann das Ermessen bei der Entscheidung über die Aufhebung der Aussetzung stark eingeschränkt sein.
Gegen einen Beschluss, der auf einen Antrag zur Aufhebung der Aussetzung ergeht, kann sofortige Beschwerde eingelegt werden, § 576 Abs. 1 Nr. 1 ZPO in Verbindung mit § 252 ZPO. Die Aufhebung der Aussetzung hat denselben rechtlichen Effekt wie die Ablehnung eines Antrags auf Aussetzung. Der Zweck des § 252 ZPO, der auf den effektiven Rechtsschutz abzielt, besteht darin, schnell Klarheit darüber zu schaffen, ob ein Verfahren ausgesetzt werden sollte oder ob die Aussetzung gerechtfertigt ist.
Es wäre sinnvoll, in geeigneten Fällen die Rechtsbeschwerde zur Gewährleistung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung zuzulassen (§ 574 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Nur so können erhebliche Unterschiede in der Rechtsprechung vermieden werden, die sich möglicherweise noch verstärken könnten. Dabei sollte beachtet werden, dass bundesweit mehrere tausend ähnliche Verfahren anhängig sind, in denen die Beklagten häufig eine Aussetzung des Verfahrens beantragen. Die potenziellen weitreichenden Auswirkungen auf die Rechtsprechung insgesamt, insbesondere hinsichtlich der effektiven Rechtsdurchsetzung in diesem Bereich, sind offensichtlich.
VI. Fazit
Die Argumentation für eine Analogie zu § 148 Abs. 1 ZPO weist sowohl methodische als auch verfassungsrechtliche Schwächen auf und erfordert jedenfalls eine angepasste Abwägung. Die vorangegangene Untersuchung legt nahe, dass bei der Aussetzung von Verfahren differenziert werden muss:
- Keine Aussetzung für Verluste aus Online-Casinos im Zusammenhang mit dem EuGH-Verfahren C-440/23.
- Keine Aussetzung bei Betreibergesellschaften, die außerhalb der Europäischen Union ansässig sind (z. B. Gibraltar, Curacao, Virgin Islands).
- Keine Aussetzung für Spielteilnahmen, die im zeitlichen Anwendungsbereich des GlüStV 2021 liegen.
- Keine Aussetzung, wenn das Verfahren, das die Aussetzung bedingt, voraussichtlich nicht innerhalb eines Jahres abgeschlossen sein wird.
In den genannten Fällen fehlen bereits die notwendigen Voraussetzungen für eine Aussetzung, sodass die Frage des richterlichen Ermessens gar nicht relevant ist. In allen anderen Fällen erscheint eine Entscheidung zugunsten einer Aussetzung im ersten Rechtszug oder vor einem Versäumnisurteil gegen den Beklagten, unter Berücksichtigung des modifizierten Abwägungsmaßstabs, schwer zu rechtfertigen.
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